Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich im letzten Jahr gewaltig viel verändert hat. In so vielen Belangen. Im Privaten. Gesellschaftlich. In der Arbeitswelt. Und, und, und.
Und es ist ja jetzt nicht einfach zu Ende. Nach dem Motto „danke, genug verändert, mir reicht’s jetzt, wir hören auf!“ Nee, das funktioniert nicht!
Und Veränderungen sind ja auch nicht schlecht. Oder gut. Erstmal ist da einfach nur was anders. Und genau dieses „anders“ ist es, bei dem es quietscht und knarzt und dann eben auch mal unbequem wird. Besonders, wenn wir uns ein anderes „anders“ vorgestellt haben...
Ein ganz großer Veränderungsprozess (in dem wir eigentlich auch immer noch drinstecken, auch wenn die Veränderungen sich verändert haben – ok, lassen wir das, jetzt wird’s zu kompliziert. Vielleicht sollten wir das mal an einem gemütlichen Abend bei einem Glas Wein besprechen...) Also, zurück zu dem Veränderungsprozess, den ich eingangs meinte: das war jener, der ab dem 18. Jahrhundert alles gewaltig durcheinander gewürfelt hat. Man bezeichnet diese Zeit als „Anbruch der Moderne“. Eine Zeit, die geprägt ist durch einen starken Wandel in der Gesellschaft, die einsetzende Industrialisierung und ein völlig neues Denken.
Vorausgegangen waren turbulente Zeiten: so hatte die Reformation (1517) die katholische Kirche in ihren Grundfesten erschüttert und gespalten und der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) Deutschland in viele kleine Territorien zersplittern lassen. Als Folge begannen die Menschen zunehmend, die Religion, bestehende Gesellschaftsstrukturen und die herrschenden Missstände zu hinterfragen.
In der Folge etabliert sich das Bürgertum, das vor allem in den Städten eine zunehmend wichtigere Rolle spielt. Auf der anderen Seite werden die Privilegien des Adels werden mehr und mehr in Frage gestellt, denn eigentlich wurde diese herrschende Klasse „nicht mehr benötigt“ – die Bürger verfügten zunehmend über eigenes Kapital und auch Bildung und konnten sich aus dem bestehenden System emanzipieren.
Diese strukturellen Veränderungen gipfelten in der Französischen Revolution im Jahr 1789 und der Forderung nach „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Das absolutistische Herrschaftssystem, in dem es Knechtschaft und Abhängigkeit gab und der Platz in der Welt als von Gott gegeben angesehen wurde, hatte seine Legitimation verloren. Das Bürgertum akzeptierte die Vormachtstellung des Adels nicht mehr, sondern verlangte nach Gleichberechtigung und Selbstbestimmung.
Basis für all dies ist eine umfassende Denkbewegung in so vielen Bereichen, die kritisches Denken, Fragen und Zweifeln in den Mittelpunkt stellt und so althergebrachte Vorstellungen ins Wanken geraten lässt. Mit dieser Bewegung geht ein naturwissenschaftlicher und technischer Erkenntnisfortschritt einher, der menschliche Verstand wird als höchstes Gut angesehen. Ziel war die Selbstbestimmung des Individuums als mündigem Bürger.
Als Symbol dieser „Aufklärung“ genannten Zeit gilt das Licht - die Dunkelheit des Mittelalters wurde abgestreift und der Weg in eine moderne, aufgeklärte Zeit beleuchtet. Einer der bekanntesten Vertreter der Aufklärung, Immanuel Kant, prägte die Aussage „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Wahrscheinlich die beste Zusammenfassung dieser umfassenden Veränderungen im Zeitalter der Aufklärung.
Und mutig waren einige! Haben sich ihres Verstandes bedient. Und so folgt im Grunde eine Revolution auf die andere. Die industrielle Revolution auf die Französische. Zum Beispiel. Verkürzt gesagt. Durch sie verändert sich nicht nur die Produktion als solches maßgeblich, auch die Gesellschaft erfährt einen massiven Umbruch. Im Übergang vom Handwerk zur Industrie, von der Werkstatt in die Fabrik verändert sich die Arbeitswelt der Menschen. Es trennt sich im Arbeitsprozess mehr und mehr der Entwurf vom Produkt - beziehungsweise der Produktion - und damit die Kopfarbeit von der Hand- und Maschinenarbeit.
Natürlich steht diese Entwicklung in engem Zusammenhang mit der allgemeinen Politik und Wirtschaft. Mit der Französischen Revolution im Jahre 1789 hatte das Bürgertum zunehmend Selbstbewusstsein entwickelt und ist für seine Rechte eingetreten, ja sogar auf die Barrikaden gegangen. Mit der industriellen Revolution verändert sich nun die komplette Lebenswelt des Einzelnen weiter, Arbeit wird neu definiert.
Für viele Zeitgenossen entwickelte sich die Industrialisierung zum Schreckgespenst, wurde mit ihr doch das Ende des Handwerks und die Abhängigkeit von Maschinen prophezeit. In zahlreichen Gegenbewegungen – den sogenannten Reformbewegungen - drückt sich der vehemente Wunsch aus, handwerkliche Produktion, Manufakturen und damit individuelle Einzelstücke zu erhalten und eine Abkehr vom leblosen Massenprodukt zu erreichen.
Lebloses Massenprodukt? Nein! Kostengünstige Produktion, erschwingliche Produkte für alle!
Michael Thonet, 1796 in Boppard am Rhein geboren, war Tischlermeister, Firmengründer und Entwickler. Angetrieben von einem unglaublichen Ehrgeiz und Erfindungsreichtum gelang es ihm, die Möbelproduktion zu revolutionieren.
In seiner eigenen Möbelwerkstatt unternahm Thonet bereits in den 1830er Jahren Versuche, verleimte Holzleisten unter Wasserdampf und Wärme zu verbiegen und konnte mit dem sogenannten Bopparder Stuhl erste Erfolge verzeichnen.
1842 folgte Michael Thonet der Einladung von Fürst Clemens von Metternich nach Wien, den er auf einer Gewerbeausstellung kennengelernt hatte. Dort konnte er bald wieder in eigener Werkstatt seine Experimente fortsetzen, verwendete jedoch nun Vollholz aus Ahorn und Buche und konnte das Biegeverfahren verfeinern und perfektionieren. Wichtig hierbei war es, das Brechen des Holzes auf der Außenseite – also dort, wo die größte Dehnung herrschte – zu verhindern und gleichzeitig ein zu starkes Stauchen auf der Innenseite zu verhindern. Dies gelang durch das Erweichen des Holzes unter Wasserdampf und durch das anschließende Einspannen des gebogenen Elements. In dieser Spannvorrichtung blieb das Holz bis es ausgekühlt und getrocknet war und eine Rückverformung ausgeschlossen werden konnte.
Das von Michael Thonet perfektionierte Verfahren war die Basis für die serielle Fertigung und somit die Massenproduktion von Möbelstücken. Nun konnten Holzleisten in großen Mengen verarbeitet werden, ohne das zu großer Ausschuss durch das Splittern des Holzes beim Biegen entstand. Komplettiert wurde diese Erfindung 1859 durch die Entwicklung des Stuhl Nr. 14, auch bekannt als Caféhausstuhl. Dieser – aus sechs Holzelementen, zwei Muttern und zehn Schrauben bestehende – Stuhl gilt als der meistverkauften Stühle weltweit. Er bestach durch seine klassische Schlichtheit, Leichtigkeit und durch seine geringen Produktionskosten.
Zusätzlich entwickelte Thonet eine geniale Möglichkeit, um das Produkt in die ganze Welt zu liefern: anstatt die Stühle bereits montiert zu verpacken, beließ er sie in ihren Einzelteilen. So konnte er schon beim Verpacken Platz sparen – es gelang ihm, in eine Kiste von einem Kubikmeter 36 Stühle zu verpacken. An ihrem Bestimmungsort wurden diese dann zusammengeschraubt und waren schnell einsatzbereit. Eine weitere Möglichkeit, schon beim Transport Kosten zu reduzieren. Ja, ja, ich weiß, hört sich nach dem großen schwedischen Möbelhaus an - aber die kamen damit eben erst später!
Reduktion bei Form und Material, beim Fertigungsaufwand und auch im Vertrieb – so konnte Michael Thonet die Möbelproduktion in das industrielle Zeitalter befördern und gilt nicht ohne Grund als wichtiger Vorreiter im Möbeldesign.
Auch nach seinem Tod 1871 bestand das von ihm begründete Unternehmen weiter, seine Stühle – vor allem der Stuhl Nr. 14 - gelten bis heute als internationaler Design-Klassiker und werden zum Teil immer noch produziert.
Veränderung clever ausgenutzt und sogar vorangetrieben, würde ich sagen! Vielleicht ein Grund, beim nächsten „anders“ nicht nur auf die persönlichen Unbequemlichkeiten zu schauen, sondern auf das Positive was auch daraus entstehen könnte...
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