Also: los geht es zu unserer Erkundung der Vergangenheit!
Alle bereit?
Wenn nicht dann ist es jetzt sowieso schon zu spät...
Wir sind bereit gestartet zu einem kleinen Flug in die Kunstgeschichte. Diesmal geht unsere Reise gar nicht so weit zurück. Ein. Kurzes. Abheben. Und. Wieder. Aufsetzen. Angekommen.
Wo wir sind? Hm, schauen wir uns doch einmal um: ich sehe einen Herrn mit einem lustigen Bart! So schön gezwirbelt! Herrlich. Daneben eine elegante Dame. Schwarze Haare, im modischen Bubikopf geschnitten. Sie sitzen an einer langen Tafel. Scheinen irgendetwas zu Feiern zu haben. Man kann... (Moment wir gehen mal etwas näher heran.) ...nur schwer erkennen... wer noch alles da ist... Oh, noch ein sehr ernst dreinschauender Herr. Eine weitere Dame sitzt sehr gerade am Tisch und trägt sehr lange dunkle Haare. Geflochten. Und aufgesteckt. Jetzt dreht sie sich herum. Oh, eindrucksvolle Augenbrauen, Señorita!
So, ich glaube, es drängt sich doch schon so langsam bei einigen der Verdacht auf, wo wir gelandet sind! Ja, genau, es ist die verrückte Zeit des Surrealismus in der wir hier auf einige Künstler:innen beim Festmahl stoßen. Salvador Dalí und seine Muse Gala, Max Ernst, Frida Kahlo – um nur einige zu nennen. Eine Strömung, die sich gegen alles außer Kraft setzt, was bisher bekannt war. Sich auf eine neue Ebene begibt, in eine Art Zwischenwelt. Nicht im realen Leben verhaftet, aber auch nicht im Jenseits, sondern irgendwo dazwischen. Surreal eben.
Hervorgegangen ist der Surrealismus irgendwie aus dem Dadaismus. Hat mit diesem gemeinsam das Auflehnen gegen alles Bürgerliche. Und vielleicht auch dieses ein bisschen Seltsame. Nicht Greifbare. Exotische. Der Dadaismus (und auch der Surrealismus) sind keine Kunstströmungen im eigentlichen Sinn, kein Stil und schon gar keine Epoche. Eigentlich sind beide eine Geistes- bzw. Lebenshaltung. Der Dadaismus wurde 1916 in Zürich begründet (sofern man von „gründen“ sprechen kann – vielleicht sollten wir eher sagen, er entwickelte sich). Lehnte alles Konservative und Konventionelle ab und setzte wesentliche Impulse in der Kunst und Literatur, die bis heute Nachwirkungen haben. Auch die Gesellschaft selbst wurde von den Dadaisten aufs Korn genommen und letztlich abgelehnt, aber auch Veränderungen in dieser angestoßen. Ein paar Namen, die hier zu nennen sind: Sophie Taeuber, Robert Delaunay, Hans Arp, aber auch Marcel Duchamp, Alfred Siteglitz und einige mehr. Als Beispiel geht es hier zu einem Gedicht von Hugo Ball, Karawane.
Aber zurück zum Surrealismus. Auch hier wird alles in Frage gestellt, was sich die gutbürgerliche Gesellschaft um die Jahrhundertwende 1900 so als Prinzipien gegeben hat, entwickelt hat und nach denen „man eben lebt“. Nichts mehr war konventionell in der surrealistischen Kunst.
Anything goes.
Hier spielt die Traumdeutung Sigmund Freuds eine Rolle, Phantasie, Hypnose und Ekstase. Vielleicht auch die ein oder andere bewusstseinserweiternde Droge. (Wenn’s dem Zweck dient?!)
In diesem überschwänglichen, grenzenlosen, illusionistischem Zwischendings ist eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Barock erkennbar. Viel Entgrenzung, Hemmungslosigkeit und ja, auch eine gewisse Portion Erotik.
Ein Material fasst für mich sowohl den Barock als auch den Surrealismus ganz gut zusammen. Das ist Samt. Im Zeitalter des Barock (16./17. Jh.) noch eher in dunklen, abgetönten Farben gehalten. Im Surrealismus in einem leuchtenden Rot oder Violett. Nicht nur für Kleidung verwendet, sondern auch als Überzug für Möbel, Kissen oder als Vorhang. Und dann diese Faszination darüber, dass der Stoff einerseits glatt, glänzend, seidig scheint und andererseits (gegen den Strich gekämmt) rau, widerspenstig, matt. Ebenso die Berührung weich und zart in der einen, kratzig und ruppig in der anderen Bewegung.
Und ein Kunstwerk ist für mich der Inbegriff des Surrealismus. Nein, kein Werk von Dalí, keine fließenden Uhren oder Damen mit Schubladenkörpern. Nein, es ist das Werk einer Dame, die 1913 in Berlin geboren wurde und 1985 in Basel starb. Es ist Meret Oppenheim. Genauer gesagt, ihre Vorliebe dafür, alles mit Pelz zu überziehen. Ja, Oppenheim ist mehr als das und lässt sich wirklich nicht darauf reduzieren, aber gerade das „Déjeuner en fourrure“ (1936 entstanden) trägt – für mich – alles in sich, was Surrealismus ist.
Warum?
Na, man stelle sich vor: eine Kaffeetasse auf einer Untertasse, beide mit langhaarigem Pelz überzogen, dazu der ebensolche Kaffeelöffel.
So.
Nun, Tasse hochheben und an den Mund führen.
Brrrrssssptffffff...
Fffff...
Ppp.
Das kribbelt und bitzelt auf den Lippen doch schon, wenn man daran denkt. Es sich nur VERSUCHT vorzustellen!
Tief in unseren Köpfen verankert ist doch der Gedanke an etwas kühles, glattes, wenn wir eine Tasse oder ein Glas an den Mund setzen. Und genau das Gegenteiligste, das man sich vorstellen kann, das Absurdeste, tritt ein. Nichts Rationales, sondern etwas... Naja, eben Surrealistisches!
Wenn hier also auf der oben beschriebenen Tafel bei den Herrschaften ein solches Gedeck stehen würde, würde es mich überhaupt nicht wundern. Auch nicht, wenn es benutzt würde.
Surrealismus ist übrigens auch im Design angekommen. Nicht nur am Anfang des 20. Jahrhunderts, sondern... Ach, wir steigen schnell wieder in unsere Zeitreisemaschine....
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Und landen wieder in der Gegenwart. Surrealistisches Design in der Gegenwart? Aber ja! Ich komme kurz auf den Samt zurück: wieder sehr angesagt! Oder aber Dinge wie die Horselamp oder auch Ingo Maurers „Porca Miseria“ – eine Lampe (oder eher ein Beleuchtungskörper), bestehend aus zerbrochenen Geschirrteilen und Besteck. Runtergefallen – porca miseria! – und wieder neu arrangiert. Der Zufall bestimmt die Form. Wenig ist beeinflusst. Surrealistisch.
Und da wir gerade so schön wieder in der Gegenwart angekommen sind: Zurücklehnen, Anschnallgurt lösen. Wir bleiben einfach da, wo wir sind! Vielleicht ein Kaffee? (Aber aufpassen, welche Tassen im Schrank stehen!)
Und: Könnte noch jemand die Giraffe auspusten?
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