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Zeichen der Zeit  oder: Licht aus.  

 

So, jetzt hab ich drölfzig Mal angefangen zu schreiben und ebenso oft habe ich das Ganze wieder gelöscht und noch einmal von vorne angefangen. Immer wieder ist mir etwas eingefallen, was ich eigentlich „davor“ noch schreiben müsste. Damit verständlich ist, um was es geht. Und schlussendlich daraus auch ein lesbarer Text wird. Und die Buchstaben sinnvoll aneinandergereiht sind. 

 

Buchstaben! 

 

Ich glaube, jetzt hab ich’s. Buchstaben sind ein guter Anfang! Wer mich schon länger kennt, weiß, dass ich ein kleines Faible für Buchstaben habe. Gesprochen, geschrieben, gelesen, analog, digital, gezeichnet, gedruckt, klein, groß… Buchstaben sind großartig! Ich weiß nicht mehr wirklich, wann diese Leidenschaft mich gepackt hat, ich weiß nur, dass ich „schon immer“ (also natürlich seit ich es erlernt habe) unglaublich gern und sehr viel gelesen habe. Böse Zungen behaupten, ich habe „Bücher gefressen“… 

 

Ich lese auch heute noch sehr gern. 

Und viel. 

 

Das ist jetzt aber nicht das Thema. Es ging um Buchstaben. Der zweite – für mich greifbare – Milestone in meiner Buchstabenleidenschaft kam vermutlich während meiner Ausbildung zur Schilder- und Lichtreklameherstellerin. Damals, als ich nach dem Abi den Drang hatte, etwas Handwerkliches zu tun. Nicht schon wieder irgendwo auf dem Stuhl zu sitzen und zu lernen, sondern mal etwas Praktisches zu machen. Während dieser Ausbildung habe ich dann die Buchstaben von einer ganz anderen Seite kennengelernt:

·      Beim Konstruieren von Buchstaben – also lernen, wie dick die Balkenstärke sein muss, welches die richtige Spationierung (der Abstand zwischen den einzelnen Zeichen) ist, und ach so vieles mehr…

·      Schriftkunde und -geschichte – von Majuskeln und Minuskeln, Karl dem Großen, der serifenlosen Linear-Antiqua und Grotesken und so (hierzu vielleicht an einem anderen Ort, in einem anderen Artikel einmal mehr)

·      Kalligrafie – oh je, wie viele Stunden habe ich mit der Zunge im linken Mundwinkel (kann auch der rechte gewesen sein) verbracht, wahlweise die Schreibfeder oder den Füller in der Hand und habe die verschiedenen Schriften zu Papier gebracht, geübt, geflucht… Spaß gemacht hat’s aber auch!

·      Manchmal kam auch der Meister (ja, so hat er sich ansprechen lassen) morgens in die Werkstatt und hat einen von uns Lehrlingen ausgesucht (Fluch oder Segen) und dann mussten wir nach Frankfurt zu Neon Zentgraf fahren (die Ausbildung habe ich damals in Kassel gemacht). Damals noch ohne Navi immer ein bisschen eine aufregende Geschichte, denn das Ziel der Fahrt lag etwas versteckt: es war eine kleine Werkstatt, in der Neon-Buchstaben hergestellt wurden. Also noch so richtig Glas geblasen, in (Buchstaben-)Form gebracht und mit den entsprechenden Edelgasen befüllt… Unglaublich faszinierend und in der Leuchtreklame seit den 1960ern ein Klassiker!

 

Leuchtstoffröhren (die korrekte Bezeichnung) sind aber auch in der Kunst „in Mode“ gewesen – Bruce Naumann oder auch Dan Flavin haben sie beispielsweise eingesetzt. (Zu Beispielen gelangt man per Klick auf den jeweiligen Namen.)

 

Heutzutage sind diese bunt-leuchtenden, manchmal blinkenden Botschaften nicht mehr so wirklich zeitgemäß – einerseits wegen der verwendeten Materialien (u.a. auch Quecksilber) und natürlich auch wegen der Energieeffizienz, Umweltaspekten und und und. Die Leuchtreklamen stehen aber in unserer visuellen Kultur für ganz bestimmte Assoziationen. Wir verbinden mit ihnen die verheißungsvollen Bilder von amerikanischen Großstädten, Einkaufstempeln, Spielcasinos und Las Vegas. 

Konsum. 

Prägende Zeichen einer Zeit.

 

In Hong Kong (eine der Städte, in denen es unglaublich viel und unglaublich großflächige Leuchtreklamen gibt) gilt seit einigen Jahren die Auflage der Regierung, dass Neon-Schilder abgebaut werden müssen – aus Sicherheitsgründen (zu alt, zu groß). Damit dieser Teil der visuellen Geschichte Hong Kongs nicht verloren geht (denn sie sprechen ja außer der „Reklamesprache“ auch noch die der Handwerkskunst, des Grafikdesigns, Werbegeschichte, … ach und was nicht alles) hat man 2013 im M+ begonnen, einige dieser Schilder zu sammeln. Gar nicht so ganz einfach, denn diese Objekte sind zum Teil riesig. Man muss sie irgendwo unterbringen. Sie sollten aber auch intakt bleiben. Und – im Idealfall – auch präsentiert werden, sichtbar bleiben. Keine leichte Aufgabe! Und spannend auch aus Restauratoren-Sicht. Wie erhält man Neon-Reklame? 

 

Das ist übrigens ein Thema, das einige Bereiche der Kunst schon jetzt und noch mehr in Zukunft betreffen wird: der Erhalt. Zogen in den 1960er, 70er, 80er Jahren beispielsweise Fernseher in die Kunst ein, so stehen viele Sammlungen heute vor dem Problem, diese Kunstwerke präsentierbar zu halten. Wählte ein:e Künstler:in einst einen Röhrenfernseher zum Medium, so war das zwar sehr fortschrittlich – aber ist eben mittlerweile „veraltet“ (vom technischen Standpunkt her). Oftmals können Reparaturen nicht mehr durchgeführt werden, weil schlicht und ergreifend die Materialien und Komponenten fehlen. Licht aus. Kunstwerk eigentlich nicht mehr da. Ja na klar könnte man statt dem Röhrenfernseher einen Flachbildschirm nehmen. Ist aber nicht mehr das Gleiche. Nicht mehr die Wirkung. Nicht mehr die Aussage. Nicht mehr das gleiche Kunstwerk. 

 

Eine Leuchtreklame könnte auch per LED beleuchtet werden (und wird es ja zum Teil) – ist aber auch nicht mehr das Gleiche. Zur klassischen Leuchtreklame gehört der Moment nach dem Einschalten, wenn der Starter startet, das Licht zuckt und das vertraute „bling“ zu hören ist und schlussendlich das Gas leuchtet. Ebenso gehört das „Zucken“, das Fehlstarten der defekten Anlagen dazu… Es ist eine bestimmte Ausstrahlung, Atmosphäre, die hiermit verbunden ist. 

 

Also geht es nicht nur darum, das Schild als solches zu erhalten. Es geht darum, ein Stück Alltagskultur zu erhalten. Auch (oder gerade), wenn diese immer mehr verschwindet. Neon-Schilder als Teil unserer visuellen Kultur, unserer Seh-Geschichte. Nicht (mehr) bewusst wahrgenommen, dennoch präsent. …und es fällt erst auf, dass „da mal was war“, wenn es nicht mehr ist.  

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